Manipulation von Sicherheitseinrichtungen – Warum Maschinenhersteller und Betreiber beim Thema CE gemeinsam gefordert sind

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Manipulation von Sicherheitseinrichtungen – Warum Maschinenhersteller und Betreiber beim Thema CE gemeinsam gefordert sind

Die CE-Kennzeichnung steht für die Konformität eines Produkts mit geltenden EU-Richtlinien – insbesondere mit der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG und künftig der Maschinenverordnung (EU) 2023/1230. Ein oft unterschätztes, aber sicherheitsrelevantes Thema dabei ist die Manipulation von Schutzeinrichtungen. Warum das nicht nur eine Betreiberfrage ist, welche Normen man kennen sollte und wie praktische Lösungen aussehen können, zeigt dieser Beitrag.

Inhaltsverzeichnis
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    Manipulation – ein unterschätztes Sicherheitsrisiko an Maschinen

    Der Begriff „Manipulation“ taucht in der Maschinenrichtlinie nicht explizit auf – stattdessen ist von „Umgehen“, „Wirkungslos“ oder „Unwirksam machen“ von Schutzeinrichtungen die Rede. Doch die Folgen sind dramatisch: Laut einer aktuellen DGUV-Erhebung (2020–2022) sind bis zu 25% der Arbeitsunfälle an Maschinen auf manipulierte Sicherheitseinrichtungen zurückzuführen.

    25 % der Arbeitsunfälle an Maschinen entstehen durch manipulierte Sicherheitseinrichtungen

     

    ➔ Tipp: Die Informationsplattform Stop-Defeating.org stellt anschauliche Beispiele und internationale Initiativen zur Vermeidung von Manipulation bereit.

    Warum werden Sicherheitseinrichtungen von Maschinen manipuliert?

    Die Gründe sind häufig banal – aber verständlich:

    • Zeitdruck, Effizienzsteigerung
    • schlechte Maschinen-Ergonomie
    • fehlende Einsicht in Prozesse
    • störende oder umständliche Schutzmechanismen

    Beispiele für Manipulationen an Maschinen:

    Eine Lichtschranke an einer Verpackungsmaschine wird versetzt oder deaktiviert, damit der Prozess „nicht ständig stoppt“. Oder der Betätiger eines Türsicherheitsschalters wird dauerhaft in der Verriegelung belassen, um die Maschine mit geöffneter Tür betreiben zu können.

    Schutzeinrichtungen von Maschinen – wichtige Normen und Anforderungen

    • Maschinenrichtlinie 2006/42/EG (bald abgelöst durch Maschinenverordnung 2023/1230): Schutzeinrichtungen dürfen „nicht auf einfache Weise umgangen oder unwirksam gemacht werden können“.
    • ISO 14119: Vorgaben zur Gestaltung und Anbringung von Verriegelungseinrichtungen an trennenden Schutzeinrichtungen – z.B.  verdeckte Anbringung, schwerer Zugang.
    • ISO 13851: Anforderungen an Zweihandbedienungen – u.a. Messverfahren zur Verhinderung von Umgehung durch Unterarm oder Hilfsmittel.
    • DIN EN ISO 12100: Allgemeine Risikobeurteilung, inklusive vorhersehbarer Fehlanwendungen.
    • DIN EN ISO 13849-1: Anforderungen an sicherheitsbezogene Steuerungen –z.B. Performance Level, Validierung der Wirksamkeit bei Manipulation.

    ➔ Wichtig: Die DIN EN ISO 12100 – Risikobeurteilung und Risikominderung besagt, dass Hersteller in der Risikobeurteilung auch vorhersehbare Fehlanwendung und die Möglichkeit zur Manipulation berücksichtigen müssen –z.B. das Übersteigen eines Geländers anstelle der Nutzung einer Tür.

    Herstellerpflicht – oder doch Betreiberverantwortung?

    Ein häufiger Irrtum: „Der Betreiber muss doch seine Leute im Griff haben.“ Aber auch der Hersteller trägt Verantwortung. So gelten z. B. folgende Leitsätze:

      • Schutzeinrichtungen dürfen nicht ohne weiteres deaktiviert werden können.
      • Ergonomische Mängel (z.B. schlechte Sichtbarkeit) gelten als konstruktiver Mangel und fördern Anreize zu Manipulation
      • Schutzmaßnahmen müssen auch bei vorhersehbarer Fehlanwendung wirksam bleiben.

    Schutzeinrichtungen von Maschinen haben einen Sinn und verhindern nachweislich schwere Unfälle.

    ➔ Achtung: Piktogramme oder Hinweise in der Betriebsanleitung ersetzten niemals eine technische Schutzmaßnahme!

    Praktische Maßnahmen zur Manipulationsvermeidung an Maschinen

    Im Dialog mit Betreibern oder CE-Koordinatoren empfiehlt sich eine dreistufige Herangehensweise:

    1. Anreize/Möglichkeit zur Manipulation erkennen

    Noch vor der Risikobeurteilung, also in der Risikoanalyse, muss die Möglichkeit berücksichtigt werden, dass Schutzmaßnahmen wirkungslos gemacht oder umgangen werden können. Dabei sind z.B. folgende Anreize zu berücksichtigen:

    • die Schutzmaßnahme verlangsamt die Produktion oder stört irgendwelche anderen Aktivitäten oder Präferenzen des Benutzers,
    • die Schutzmaßnahme ist schwierig anzuwenden,
    • andere Personen als die Bedienperson sind betroffen, oder
    • die Schutzmaßnahme wird durch den Benutzer nicht erkannt oder in deren Wirkung nicht als geeignet akzeptiert.

    2. Manipulation verhindern

    Die Verhinderung von Manipulation zielt darauf ab, einen Anreiz zur Manipulation einer Schutzeinrichtung gar nicht erst entstehen zulassen.

    • Software-Lock-ins: sicherheitsrelevante Parameteränderungen nur im sicheren Zustand
    • Diagnosefähige Sicherheitssteuerungen mit Fehlerspeicher
    • Codierte RFID-Schalter mit Manipulationserkennung statt einfacher Magnetkontakte
    • Ergonomisch günstige Konstruktion
    • Mehrere Betriebsmodi für die entsprechenden Arbeitsprozesse (z.B. Einrichten mit Antrieben in reduzierter Geschwindigkeit)
    • Der Arbeitsprozess sollte stets einsehbar sein.
    • Lichtschranken oder Laserscanner, sofern keine Gefährdung durch Ausschleudern gegeben ist.

    3. Manipulation erschweren

    Wenn die Anreize zu Manipulation nicht minimiert oder vermieden werden können, ist das Umgehen der Schutzvorrichtungen zu erschweren.

    • Verdeckte Betätiger (nur zugänglich durch Werkzeugöffnung gemäß DIN EN ISO 14119)
    • Spezialschrauben, verdeckte Sensorik
    • Technisch sichere Zweihandbedienung mit Trennwand und Handführung („Kragen“) gemäß DIN EN ISO 13851

    Beispiel aus der Praxis eines CE-Koordinators

    Ein Hersteller plante, eine Sortieranlage mit Rüttelband ohne Schutzvorrichtung in Verkehr zu bringen – aus Sorge, Sicht- oder Reinigungsarbeiten könnten erschwert werden.

    Das CE-Team entschied ➔ Transparente bewegliche Abdeckungen mit Sicherheitsschalter und Zuhaltung sind erforderlich – sie ermöglichen Sicht auf den Prozess, schützen aber zuverlässig vor Eingriffen in das laufende Band. So konnte die Maschine CE-konform ausgeliefert werden.

    ➔ Die Aussage „Wenn ich meine Maschine zubaue, kann keiner mehr daran arbeiten“ ist nicht tragbar. Wird ein Risiko als hoch eingestuft, muss der Hersteller  technische Schutzmaßnahmen vorsehen.

    Ein weiteres Beispiel aus der CE-Beratung 

    Bei einer Fräsmaschine war der Türschalter außen angebracht – also leicht manipulierbar. Die DIN EN ISO 14119:2013 fordert allerdings in solchen Fällen eine verdeckte oder unzugängliche Anbringung, um Manipulationen zu erschweren. Die Norm empfiehlt zudem:

    • verdeckte Montage von Betätigern oder Sensorik
    • codierte Schalter bei erhöhter Manipulationsgefahr
    • Integration der Verriegelungseinrichtung innerhalb von Schutzhauben oder -zäunen

    Der CE-Berater riet zu einer verdeckten Anbringung des Schalters ➔ So soll verhindert werden, dass Bediener einen separaten Betätiger dauerhaft im Sensor belassen – ein häufiges Umgehungsszenario.

    ➔ Tipp: Bei besonders gefährdeten Anwendungen empfiehlt sich der Einsatz von RFID- oder magnetisch codierten Schaltern.

    Wir empfehlen Maschinenherstellern verstärkt auf RFID-Chips, statt auf Schlüsselschalter an ihren Maschinen zu setzen, auch wenn die gesetzlichen Regelungen und Normen dies noch nicht verlangen: der Maschinenschutz wird so deutlich verbessert.

    Rechtliche Konsequenzen bei Manipulation von Sicherheitseinrichtungen – auch für Führungskräfte

    Ein aufsehenerregender Fall: Nach der Entfernung einer Lichtschranke an einer Glasschleifmaschine kam ein Auszubildender ums Leben. Das Landgericht Osnabrück verurteilte mehrere Führungskräfte und Facharbeiter des Betriebs zu Geld- und Freiheitsstrafen wegen fahrlässiger Tötung, sowie einen Mitarbeiter des Gewerbeaufsichtsamtes wegen versuchter Strafvereitelung zu einer Geldstrafe.

    Allgemein gilt: Führungskräfte haften nicht nur für eigenes Tun, sondern auch bei Organisationsverschulden (§ 130 OWiG). Die Strafbarkeit bei Fahrlässigkeit ergibt sich aus § 222 StGB in Verbindung mit Verletzung gesetzlicher Verkehrspflichten.

    ➔ Wichtiger Hinweis: „Melden“ macht nicht frei! – Wer Manipulationen duldet oder ignoriert, kann haftbar gemacht werden. Nur bei der Geschäftsführung anzumerken, dass etwas schiefläuft und nichts weiter zu unternehmen, reicht also nicht aus.

    Fazit: Verantwortung gemeinsam tragen

    Manipulation von Sicherheitseinrichtungen und dadurch gehäufte Unfälle sind ein reales, statistisch belegtes Problem. Die Unfallzahlen zeigen, dass Manipulation von Schutzeinrichtungen ein Kernproblem ist: für Hersteller und Betreiber. Die Verantwortung dafür liegt nicht allein beim Betreiber, sondern auch beim Hersteller.

    Ein Hersteller von Maschinen muss bei der Konstruktion Anreize zur Manipulation vermeiden und technische Maßnahmen einplanen und die Maschine nach dem Stand der Technik bauen. Dabei sollte folgende Frage im Fokus stehen: Bestehen Anreize zu Manipulation meiner Maschine bzw. Schutzvorrichtung?  Wenn diese Frage mit Ja beantwortet wird, sollten sich Gedanken dazu gemacht werden, wie die Manipulation der Schutzvorrichtung erschwert oder verhindert werden kann. 

    Ein CE-Koordinator unterstützt dabei, sowohl technische als auch rechtliche Anforderungen an Maschinen umzusetzen – und fungiert als Vermittler zwischen Betreibern und Herstellern von Maschinen.

    Eine CE-konforme Konstruktion bedeutet nicht, dass zum Schluss alles 100 % manipulationssicher ist – aber, dass in Vorhinein alles Mögliche getan wurde, um Manipulation zu vermeiden und zu erschweren.

    Wir beraten Sie gerne individuell zu Maschinensicherheit, Funktionaler Sicherheit und Schutzeinrichtungen an Ihren Maschinen. Sprechen Sie uns an!

    Weiterführende Links und Informationsquellen:

     

    Lars Knorre

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